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Carmen Gómez Mont, Mexiko

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// Ein Blick in die Welt //
Manuel Cabrera, Mexiko

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// Indigene Völker und digitale Technologien: Annäherungspunkte von Kulturen im Umbruch //

Mexiko ist eines der Länder mit der größten biologischen und sozialen Vielfalt in der Welt. Dies trifft vor allem auf die indigenen Völker zu: 62 Ethnien gibt es allein in Mexiko. Die Kultur dieser Völker beruht auf einer engen Verbindung zur Erde und die biologische Vielfalt kann nur bestehen, wenn es gleichzeitig auch Hunderte Formen gibt, die Erde und ihre Früchte zu betrachten. Es ist eine eng vernetzte Beziehung, deren Partner sich wechselseitig beeinflussen und die uns zeigt, dass die Vielfalt in Mexiko ihre Wurzeln in der Erde hat.

In Lateinamerika gibt es mehr als 60 Millionen Ureinwohner, mit Peru, Bolivien, Ecuador, Guatemala und Mexiko als Länder mit der größten indigenen Bevölkerung. Das Land hat 14,2 Millionen Ureinwohner, die 68 Sprachen und 364 Dialekte sprechen. Aber diese Bevölkerung verschwindet mit der Zeit. Dies liegt an der anhaltenden Migration der indigenen Bevölkerung in andere Regionen, weg von ihren ursprünglichen Gemeinden, teilweise auch ins Ausland (meist Vereinigte Staaten oder Kanada).

In diesem Beitrag soll dargestellt werden, wie diese kulturelle und sprachliche Vielfalt im 21. Jahrhundert bestehen kann und überlebt und welche Rolle digitale Technologien in diesem Zusammenhang spielen.

Die indigenen Völker Mexikos sind die Nachfahren der Ureinwohner Amerikas. Ihre Stammesgeschichten sind die der Völker, die vor der Ankunft der Spanier existierten und sie sehen sich selbst als indigene Bevölkerung. Sie leben in Gemeinschaften, die eine enge Beziehung zur Natur haben. Sie sind anerkannte Gemeinschaften, sprechen eine oder mehrere indigene Sprachen und leiden fast immer unter sozialer Ausgrenzung.

Im Mittelpunkt aller indigenen Kulturen steht der Kontakt mit Mutter Erde. Daraus entstanden auch die Weltanschauungen dieser Völker, verschmolzen aus religiösen Ansichten, phantastischen, kosmogonischen Welten sowie wissenschaftlichen und magischen Ansätzen. Die Weltanschauung ist eine Art die Welt zu sehen und zu verstehen.

Es gibt so viele Weltanschauungen wie indigene Völker. Doch bisher hat noch keine Theorie deren Logik erklären können. Es gibt gemeinsame Ideen und Prinzipien, die sich aber dennoch von Kultur zu Kultur unterscheiden. Fray Bernardino de Sahagún schrieb im sechzehnten Jahrhundert dazu: „Solch Hingabe und solch Macht der Magie ist erstaunlich und unglaublich. (…) Die Schönheit jedes einzelnen Rituals hat eine schwindelerregende Kraft“.

Das Merkmal indigener Völker ist das traditionelle Wissen. Es wird mündlich von Generation zu Generation überliefert, verändert sich und passt sich den Anforderungen der modernen Zeit an. Das Wissen dieser Völker ist umfangreich und besitzt durchaus Aktualität. Es finden sich Heilmittel für Krankheiten und Mittel zum Schutz und zur Bewahrung der Umwelt. Dieses Wissen wird weltweit anerkannt und dies ist der Grund dafür, dass Entwicklung und Verbreitung des Wissens mit einigem Misstrauen geschützt werden.

Indigene Sprachen sind somit Garantie dafür, dass dieses traditionelle Wissen geschützt, gefestigt und an jüngere Generationen weitergegeben wird. Digitale Technologien spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Um den Umgang mit diesen Medien in indigenen Gemeinden zu verstehen, müssen wir zuerst sehen, dass Netzgeneration, Systematisierung und Verbreitung von Informationen (Wissen) signifikant anders als in westlichen Ländern vonstatten geht. Das Internet ist ein Ort, an dem indigene Völker ihre eigenen Informationen mit ihren kommunikativen Mitteln ausdrücken. Diese entstehen aus Weltanschauungen und dem ganzheitlichen Denken, bei dem jeder Teil eng mit dem anderen verbunden ist. Folglich sind Information und Kommunikation Bestandteil und Gesamtheit des Ganzen: Land, Landwirtschaft, Erziehung, Kunst, Produktion, Rituale, Götter, Wissen, Gemeinschaft und Gemeinsamkeit (1). Wenn wir also den Grad der Vernetzung und die Weltanschauung der indigenen Völker als Ausgangspunkt nehmen, können wir deren Umgang mit den Medien besser verstehen.

Ein zweites wichtiges Element ist die mündlich übermittelte Kultur. Dies findet mit Hilfe zweier Kanäle statt: Radio und Video (sog. videos comunitarios, die von der Gemeinde zur Verfügung gestellt werden). Die Botschaften werden von für die Kommunikation Verantwortlichen in den Gemeinden aufgezeichnet. Journalisten und Antropologen haben nur eingeschränkt Zugang dazu. Das traditionelle Wissen ist heilig, es darf damit kein Handel betrieben werden. So gibt es unter anderem Inhalte, die nur Mitgliedern der Gemeinde zugänglich sind.

Radio ist das Medium, das der Gemeinschaft Leben schenkt, es vernetzt und stärkt die Sprachen der indigenen Völker. In Mexiko gibt es zwei Arten von Radiosendern: das öffentliche und private Radiostationen sowie die Radiosender der Gemeinden, die den indigenen Gemeinden selbst gehören, deren Betriebsgenehmigungen teilweise noch anhängig sind. Diese Radiosender arbeiten anders als öffentliche Sender, da das Programm in den Gemeinden selbst erstellt und produziert wird, mit ihren eigenen finanziellen Mitteln und einem breiten Meinungsspektrum.

Das Internet ist eines der überraschenden Kapitel in der Geschichte der indigenen Völker im 21. Jahrhundert. Es stellt sich die Frage, wie, wann, warum und mit welchen Mitteln das Netz generiert und zugeteilt wird. Fälschlicherweise denkt man häufig, dass sie keinen Zugang zu digitalen Medien haben, da sie in Armut und Ausgrenzung leben. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Mitglieder indigener Bevölkerung oft Migranten sind – in Los Angeles zum Beispiel leben fast genauso viele Bürger aus Oaxaca wie in dem mexikanischen Bundesstaat selbst. Sie sind Weltbürger, verlieren aber nie Kontakt zu ihrer Heimat. Das Internet hilft ihnen, über Grenzen zu kommunizieren, trägt aber auch dazu bei, Kontakte mit Angehörigen indigener Gruppen auf dem ganzen Kontinent zu knüpfen, von den Inuit aus Alaska bis zu den Mapuche und Guaraní, die in Chile und Argentinien leben.

Das Internet erfüllt eine wesentliche Funktion, die komplementär zum Radio ist: Bewahrung und Verbreitung des eigenen Gedankenguts im Gegensatz zu der Version der staatlichen Medien. Die neuen Medien sind also flexibel und passen sich an die Bedürnisse der Gemeinden an. Der Einzugsbereich von Radiosendern, ob von MW, Satellit oder WiFi übertragen, lässt sich an eine Region und ihre Grenzen anpassen, die von Kultur und Sprache geformt sind (im Unterschied offiziellen territorialen Grenzziehungen). Vor allem aber lässt sich eine Mischung von Übertragungswegen erzielen, um eine Botschaft in kürzester Zeit von einem Punkt zum anderen zu senden. So könnte sie per Pferd oder Esel zur nächsten Radiostation gebracht werden, wo sie per Computer bearbeitet werden kann, um dann schließlich in einer amerikanischen Stadt via Satellit gehört zu werden. Übertragungsrouten und -strategien, die die Gemeinden zusammenstellen, sind für jede Botschaft individuell. YouTube-Videos, Skype-Telefonate, eigene Webseiten und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sind die digitalen Technologien, die am meisten benutzt werden.

Besonders bedeutend ist das Potential, das das Internet bietet, auf einer eigenen Seite seine Identität und Themen selbst erstellen und darstellen zu können. Im Gegensatz zu Radio und Video werden in diesem Medium die Inhalte in Spanisch und Englisch verfasst, um Grenzen zu überschreiten und eigene Ansichten von Identität, Kultur und Produkten zu verbreiten. Die mündliche Kommunikation bleibt insofern wichtig als auf manchen Webseiten Radiobeiträge oder Podcasts zur Verfügung gestellt werden. Zudem findet man auch kleinere Texte und Gedanken in den indigenen Sprachen niedergeschrieben.

Einer der größten Nutzen digitaler Technologien für indigene Völker ist die Tatsache, dass ihre Sprachen geschrieben werden, teilweise zum ersten Mal. Dies hat es möglich gemacht, die Sprachen aufzuzeichnen und Überleben und Festigung zu gewährleisten.

Zusätzlich zur Stärkung dieser Identitäten bieten diese Webseiten die Möglichkeit, die Regionen und deren Produkte vorzustellen: Textilien, Kaffee, Honig, Kunst und Handwerk. So erhöhen die indigenen Völker ihre Unabhängigkeit, ihre Internationalisierung und die Möglichkeiten, ihre Produkte ohne Zwischenhändler zu verkaufen.

Die Nutzung sozialer Netzwerke durch Gemeinden und Organisationen dient dazu, Netze zum lokalen, nationalen und internationalen Austausch auszubauen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Einsatz von digitalen Technologien durch indigene Völker in Mexiko und Lateinamerika eine vielversprechende Entwicklung zur Schaffung und Stärkung ihrer Identitäten sind. Die Mundarten und Sprachen werden durch Wörterbücher, Songs und Videos auf YouTube verbreitet, es entstehen Webseiten der Gemeinden und Bevölkerungsgruppen. Diese ermöglichen es, die Volksstämme kennenzulernen und ihr traditionelles Wissen durch die Digitalisierung von Archiven und Erfahrungen zu bewahren. Durch diese Entwicklungen können ganze Netzwerke indigener Völker in Mexiko und ganz Amerika erstellt werden. Nach 500 Jahren Isolation und begrenzter Kommunikation ist dies eine beachtliche Entwicklung.

Quellen

Fray Bernardino de Sahagún (1935). Historia general de las cosas de Nueva España. Madrid. Editorial Pedro Robledo.

Internetquellen

Instituto Nacional de las Lenguas Indígenas
http://www.inali.gob.mx

Radiodifusoras indígenas de la Comisión para el Desarrollo de los Pueblos Indígenas.
http://www.cdi.gob.mx/index.php?option=com_content&view=category&id=71

Pirekuas (2) michoacanas auf YouTube
Male Rosita. (Pirekua) 1949 Juan Victoriano
http://www.youtube.com/watch?v=oz0FB5MihZE

Voces Mayas- Red de radios mayas México-Guatemala
http://vocesmayas.wordpress.com/

Sitio Web lengua mixe (Santa María Tlahuitoltepec)
http://www.witsuk.com/yinet/index.php?option=com_kunena&Itemid=113&func=view&catid=5&id=264

Segunda Cumbre Continental de Comunicación Indígena (Facebook)
http://www.facebook.com/cccia13

(1) Gemeinsamkeit bezieht sich auf das Gefühl, das aus der Teilhabe an einer bestimmten indigenen Gemeinschaft entsteht; es ist das Element, das der Gemeinschaft immanent ist.
(2) “La Pirekua” ist ein Gesang der Purépecha und ist Teil es UNESCO Weltkulturerbes

Dr. Carmen Gómez Mont

Promovierte Politik- und Sozialwissenschaftlerin an der UNAM (Nationale Autonome Universität Mexikos) mit Schwerpunkt auf Kommunikation und technologischen Innovationen. Unabhängige Spezialistin für Analyse und Auswertung von Gebrauch und Anpassung von Informations- und Kommunikationsmedien im edukativen, sozialen und kulturellen Bereich. Sie ist Mitglied der GRESEC (Groupe de Recherche sur les Enjeux de la Communication ) in Grenoble, Frankreich. Sie hat eine Kolumne zum Thema Technologie und Gesellschaft in der mexikanischen Zeitschrift Revista Mexicana de Comunicación und verfasst monatlich einen Kommentar zum Thema technologische Innovationen auf Radio Education.

Sie hat Seminare zu den Anwendungsprozessen von Informations- und Kommunikationstechnologien an Hochschulen in Lateinamerika und der Europäischen Union gegeben. Sie schreibt für nationale und internationale Fachzeitschriften.

http://www.tice.mx

Manuel Cabrera

Manuel Cabrera wurde 1986 in Mexiko Stadt geboren. Er studierte Grafikdesign an der Universidad Iberoamericana. Zur Zeit arbeitet er als freischaffender Grafikdesigner und Illustrator, während er dabei ist, ein zweites Studium in Architektur zu beenden.

Oktober 2013
© Santacruz International Communication

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