// Die Freiheit, in die Welt zu reisen und zurückzukehren //
In Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen heißt es: „Jeder hat das Recht, sich … frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen, … sein Land zu verlassen und wieder zurückzukehren.” Laut Artikel 24 hat jeder “das Recht auf Erholung und Freizeit … und regelmäßigen Urlaub“. Dieses grundlegende Bekenntnis hat die Existenz und die Entwicklung der sogenannten „weißen Industrie ohne Schornsteine“ gefördert.
Tatsächlich hat jeder das Recht zu reisen, solange er dabei die Rechte und Freiheiten seiner Mitmenschen respektiert. Für die Entscheidungsträger in der Tourismuspolitik sollte dieser Ansatz das Leitmotiv allen Denkens und Handelns bei der Festlegung von Zielen und bei der Regulierung eines erfolgreichen und ausgewogenen Tourismus auf staatlicher, regionaler und lokaler Ebene sein. Bevor Genehmigungen und Konzessionen an Investoren erteilt werden, muss der Staat die Kontrolle der jeweiligen Projekte gewährleisten, gründliche Verträglichkeitsstudien durchführen und jeglicher Schädigung der Umwelt vorbeugen. Geschieht dies nicht oder nicht in ausreichendem Maße, können die Interessen und Rechte der Ortsansässigen und gegebenenfalls auch die der potenziellen Gäste, die bei ihrer Reise eine unbeschadete Umgebung vorfinden möchten, verletzt werden.
Seit einiger Zeit rückt weltweit die Sorge um die Zerstörung unserer Umwelt immer stärker in das Bewusstsein der Menschen. Folglich hat auch die Reisebranche begonnen, nicht nur für die Naturreichtümer der jeweiligen Destinationen zu werben, sondern auch ihre Anstrengungen zum Schutz der Umwelt herauszustellen.
Der Wirtschaftszweig Tourismus ist Quelle von Devisen und von Entwicklungschancen. Die Kunden legen inzwischen immer stärker Wert darauf, nicht nur die klassischen Elemente einer Urlaubsreise zu erleben, sondern auch zu sehen, dass Natur und Umwelt vor Zerstörung geschützt werden. Somit spielen Umweltaspekte zunehmend eine Rolle für die Tourismusbranche.
Als die ägyptischen Pharaonen über den Nil gefahren sind, um von ihren edlen Schiffen aus Reichtum und Schönheit ihrer Ländereien zu bewundern, haben sie sich sicher kaum darum gesorgt, ob ihre Abfälle oder die ihrer Gerbereien die Flüsse verunreinigen, geschweige denn diese Aspekte mit ihren Regierungsräten diskutiert. Heute ist der Schutz der Umwelt unweigerlich ein Thema aller Foren, bei denen es um Gegenwart und Zukunft unseres Planeten geht. Auch die Tourismusindustrie hat dieser Entwicklung Rechnung getragen. Viele internationale Unternehmen der Branche haben mittlerweile Abteilungen, die sich mit der Kontrolle, Bewertung und Zertifizierung der von ihnen angebotenen touristischen Dienstleistungen befassen. Dies verhilft den Unternehmen nicht nur zu einem guten Image beim Kunden, sondern trägt auch dazu bei, die Verkaufszahlen zu steigern.
Laut Travel & Tourism Impact Bericht (World Travel & Tourism Council, 2014) der Welttourismusorganisation macht der Tourismus ca. 9,5% des weltweiten BIP aus. 2013 waren weltweit 8,9% aller Angestellten in diesem Sektor tätig. Bis 2030 wird eine Verdopplung der Auslandsreisen im Vergleich zu 2013 erwartet; das entspricht etwas mehr als 1,8 Mrd. Personen.
Mexiko ist auf dem internationalen Reisemarkt mit einem der vielfältigsten Angebote an Produkten, Sehenswürdigkeiten und touristischer Infrastruktur präsent. Das Land verfügt über einzigartige Naturreichtümer, Kulturstätten, traumhafte Strände, kulinarische Köstlichkeiten, besten Service und nicht zuletzt die legendäre Gastfreundschaft seiner Menschen. Im Jahr 2013 hat der In- und Auslandstourismus 8,4% zum BIP des Landes beigetragen, zwei Millionen Arbeitsplätze bereitgestellt und Investitionen und Entwicklung für zahlreiche Gemeinden und Regionen gefördert. Mit 24,2 Mio. Touristen aus dem Ausland belegte Mexiko international Platz 15; bezüglich der Einkünfte aus dem internationalen Tourismus kam das Land auf den 23. Rang. Was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft, erreichte Mexiko laut Weltwirtschaftsforum 2013 leider nur Platz 44.
Die aktuellen Zahlen bescheinigen Mexiko eine positive Tendenz. Im ersten Halbjahr 2014 kamen 14,2 Mio. Touristen, beinahe 20% mehr als im Vorjahreszeitraum. Dennoch denke ich, dass unserer Tourismusbranche in den letzten Jahren der echte Wille der politisch Verantwortlichen zu einer wirksamen Tourismusförderung gefehlt hat. Dies hat dazu geführt, dass Mexiko trotz der aktuell positiven Statistiken in den internationalen Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit so stark abgefallen ist. Zum Ende 2013 war Mexiko nicht mehr unter den 10 weltweit beliebtesten Reisezielen, sondern kam nur noch auf den 15. Platz. In letzter Zeit habe ich viele Medienberichte gelesen, die dem Land ein negatives Image verleihen. Von sozialen Unruhen ist die Rede und auch von Umweltschäden in Gebieten wie dem Biosphörenresevat Mariposa Monarca oder der Sierra von Chihuahua und an einigen Stranddestinationen. Solche Meldungen erregen Aufmerksamkeit und schrecken manch einen potenziell Reisewilligen sogar ab. Unser Tourismussektor braucht kurz-, mittel- und langfristig dringend inhaltlich fundierte Aussagen mit Visionen und Konzepten.
Glücklicherweise gibt es auch in Mexiko Destinationen, die ihre regionale Tourismusagenda konsequent und kontinuierlich umsetzen. Der Bundesstaat Campeche ist dafür mein Lieblingsbeispiel. Hier hat man eine nachhaltige Strategie zur Entwicklung des Tourismus entsprechend den realen Möglichkeiten der Region entwickelt, die unabhängig von möglichen Regierungswechseln verfolgt wird. Die Region Campeche ist reich an präkolumbischen Stätten und Einflüssen aus der Kolonialzeit; außerdem beherbergt sie mit Calakmul historische Stätten, die in ein beeindruckendes natürliches Universum eingebettet sind. Dieses spektakuläre tropische Naturschutzgebiet ist die zweitgrößte grüne Lunge des amerikanischen Kontinents. In Campeche wird in einer Landschaft von unglaublicher Schönheit sanfter, nachhaltiger Tourismus betrieben. Dass die Besucher ihren Aufenthalt hier wahrhaft genießen und ihr Menschenrecht auf einen genussvollen Urlaub in vollem Umfang wahrnehmen können, ist der konsequenten Umsetzung der regionalen Entwicklungsstrategie unter strenger Einhaltung der geltenden Normen zu verdanken. Ich wünsche mir, dass solche Strategien für alle Regionen im ganzen Land entwickelt werden. Einen der begehrten Plätze unter den weltweit fünf beliebtesten Reisezielen kann Mexiko in Zukunft nur erreichen, wenn weniger Politik und dafür mehr engagierte und qualifizierte Tourismusarbeit gemacht wird.
Reisen bedeutet nicht nur Erholung und Entspannung für Körper und Seele, sondern auch geistige und spirituelle Bereicherung. Das Erfahren unterschiedlicher Lebenswelten und Ausdrucksformen erweitert unseren Horizont und macht uns offener, toleranter und respektvoller gegenüber den Kulturen, Gewohnheiten und Traditionen anderer Menschen.
Quellen
Charta del Vereinten Nationen 1948; www.unwto.org/facts
SECTUR/Banco de México/OAG/World Economic Forum 2013
Ministerium für ommunikations- und Transportwesen Mexikos
Gipfeltreffen Río+20 (2012)
SIIMT-CPTM
José Ramírez-Santoyo
José Ramírez-Santoyo wurde im mexikanischen Bundesstaat Guanajuato geboren. In den letzten 20 Jahren war er für die Fremdenverkehrsämter seines Landes in Deutschland und Chicago tätig, deren Leitung er auch innehatte. Er hat Fachseminare im Marketingbereich an der Lufthansa School of Business und an der Northwestern University in Chicago sowie Kurse für Krisenmanagement in Madrid, London und Frankfurt/M., wo er momentan lebt, belegt.
Manuel Cabrera
Manuel Cabrera wurde 1986 in Mexiko Stadt geboren. Er studierte Grafikdesign an der Universidad Iberoamericana. Zur Zeit arbeitet er als freischaffender Grafikdesigner und Illustrator, während er dabei ist, ein zweites Studium in Architektur zu beenden.
November 2014
© Santacruz International Communication